Foto: Maan Barua, An Amphibious Urbanism, 2023-2024.
Design Stephan Thiel
REUSE >> REFUSE ist eine audio-visuelle Serie, die die Dimension des Klangs in den Diskurs über Widerstand einschreibt. Die Serie lädt vier Künstler*innen dazu ein, das Vernachlässigte, das Unproduktive und das Übriggebliebene zu aktivieren, um den Wert dessen zu betonen, was oft als Abfall angesehen wird. Die Künstler*innen wurden eingeladen, etwas Neues aus dem zu machen, was zuvor abgelehnt wurde, oder bereits im Schnitteraum zurückgelassen wurde. REUSE >> REFUSE wird am 21. September 2021 in dem Almanac for Refusal der transmediale sowie auf der Website von NTS Radio mit Beiträgen von Lamin Fofana, Moor Mother, KMRU und Sarvenaz Mostofey veröffentlicht. Die Arbeiten werden dort bis Ende des Jahres zu sehen sein.
Widerstand und Abfall konvergieren insofern sie sich beide außerhalb dessen befinden, was als produktiv oder fruchtbar angesehen wird. Während Widerstand traditionell einen Bruch mit einem bestehenden Status quo durch individuelle oder kollektive Handlungen des Rückzugs markiert, wird Abfall normalerweise als Ergebnis oder Nebenprodukt eines bereits in Transformation befindenden Aktes betrachtet. Die Arbeiten in REUSE >> REFUSE gehen über die bloße Wiederverwertung von akustischen Überbleibseln hinaus. Sie möchten die aktuelle Dringlichkeit von Widerstand gegen gewaltsame Systeme der Unterdrückung und Ausbeutung verdeutlichen, indem sie auf unterdrückte Gesellschaften, Rassismus, wirtschaftliche Ungleichheit und die spürbaren Auswirkungen der Klimakatastrophe hinweisen.
Moor Mother setzt in ihrer Arbeit »Sound als eine Form des Widerstands« ein und versteht die akustische Sphäre als einen Raum »unbegrenzter Möglichkeiten«, in dem »wir alles verändern können, was wir wollen«. Für REUSE >> REFUSE hat Moor Mother zwei neue Partituren entworfen, die Bilder und Soundelemente aus früheren Arbeiten mit neuem visuellem und akustischem Material verweben. Moor Mother Lost Interview verbindet ein gefilmtes Interview von D1L0 mit einer industriellen Soundlandschaft, die die Worte der Künstlerin vorantreiben, hervorheben und verdichten. Inside the Black Womxn’s Temporal Portal baut eine eindringliche, rhythmische Schleife auf, in der sich Zeit, wie das Material einer Installation von Black Quantum Futurism visuell darstellt, in einem alternierenden und nichtlinearen Muster bewegt. In beiden Arbeiten wird der/die Betrachter*in eingeladen, experimentellen Sound zu erleben, in dem Störungen und Unstimmigkeiten in den Mittelpunkt gerückt werden. Soundelemete, die üblicherweise ausgespart oder entfernt würden, erhalten Raum, um ihre affektive Schönheit zu entfalten.
Photo: Chris Sikich
Für A Symbol of the Withdrawn God greift Lamin Fofana frühere Kompositionen mit stimmlosen Fragmenten, Bruchstücken und Äußerungen wieder auf und beleuchtet anhand experimenteller Electronica die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels und seine gewalttätigen Folgen für das Leben der Schwarzen. In Fofanas Klangkosmos durchdringen Orgeltöne den Sound abstrakter E-Gitarren, während ferne Klaviermelodien mit Cello- und Violinelementen verschmelzen. Sein Stück ist von einem immer wiederkehrenden dumpfen Geräusch geprägt – womöglich der Schlag einer Uhr? Wessen Zeit ist abgelaufen? Den Entstehungsprozess der Arbeit begleitete Fofanas Lektüre des Science Fiction Romans 2312 von Kim Stanley Robinson, der in einer Zeit spielt, in der ein Großteil der Menschheit vor einer unbewohnbaren und überhitzten Erde geflohen ist. Fofanas Stück ist eine Meditation über den gegenwärtigen Klimanotstand, von den Wirbelstürmen in der Karibik bis zu den Schlammlawinen in Westafrika, und über die allgegenwärtigen Todesfälle, die durch einen Mangel an sinnvollen Maßnahmen verursacht werden. In einer Welt, in der das Leben von Schwarzen systematisch und absichtlich ins Visier genommen wird, ist Fofanas Arbeit eine Hymne auf die Möglichkeit der Verweigerung durch Kunst – singend im Kampf ums Überleben.
Photo: Nicolas Premier
In Drummer on the roof verbindet Sarvenaz Mostofey labyrinthische Ideen und Erinnerungen, um über Themen wie Sound, soziale Fiktion und das tägliche Leben einer Arbeiterfamilie in einer kleinen Wohnung im Norden Irans zu reflektieren. Die Geschichte spielt in einer kalten Nacht im Winter 2017 und konzentriert sich auf die Geräusche, die in einer Kampfsporthalle im unteren Stockwerk zu hören sind. Jeden Abend, bis in die Nacht hinein, schallt das »Hi-yah!«, »Aiyah!«, »Eeee-yah!« oder »Hyah!« von mehr als zwanzig Männern durch das Gebäude und die Nachbarschaft. Manchmal übertönt es sogar das Rauschen der rauen See, die sich in unmittelbarer Nähe befindet. In jener Nacht klettert der Vater auf das Dach und schlägt mit einem unbekannten Gegenstand so hart und laut darauf ein, wie man es sich nur vorstellen kann. Was wollte der Trommler damit ausdrücken, und ist es ihm gelungen, den Lärm zum Schweigen zu bringen? Drummer on the roof verfolgt diesen Akt des Trommelns. Die Komposition stellt die gegensätzlichen Klänge und Kräfte wieder her – das Kiai, das Meeresrauschen, die Trommel auf dem Dach und die in der Zeit verlorenen Lieder.
Abfall ist für den ökologischen Diskurs von grundlegender Bedeutung, sowohl im physischen als auch im digitalen Bereich. Obwohl sich viele nicht bewusst sind, wie sehr »phygitaler« Müll zur Klimakatastrophe beiträgt, repräsentiert er den Wert, die Verwertung und die Temporalität von Dingen. Allein durch unser tägliches Leben befinden wir uns in Situationen, die zu Kohlenstoffemissionen beitragen, etwa durch den Gebrauch unseres Geräte oder die Nutzung des Internets. Im Gegensatz dazu kämpfen andere Teile der Welt, wie z. B. Nairobi, Gegenstand von KMRU‘s Beitrag, mit »greifbaren« Verschmutzungen; von Mülldeponien umgeben beeinträchtigen die Verschmutzungen ganze Gemeinden und das Leben von Menschen und anderen Arten. waste(s) ist der Versuch über das Konzept der Verschmutzung nachzudenken. Wie entsteht Abfall? Was passiert, wenn Abfall auf unterschiedliche Weise betrachtet wird, und kann Abfall eine Ressource sein? Für seine Arbeit hat KMRU Field Recordings von Mülldeponien, elektromagnetische Soundelemente von Social-Media-Websites und digitale Abfälle von weggeworfenden und recycelten Audiofragmenten zu neuen Kompositionen zusammengestellt. Als Gegenüberstellung des digital-physikalischen Konzepts von Abfall ist waste(s) eine Rekontextualisierung als künstlerische Ressource für reale und imaginäre Verschmutzungen.
Photo: Julia Sellmann
Präsentiert von Akademie Schloss Solitude x NTS Radio x depart.one in Zusammenarbeit mit transmediale und der SHAPE Platform
Konzept und Idee von Rafael Schacter und Mara-Johanna Kölmel
Kuratiert von Thomas Dumke, Denise Helene Sumi, Rafael Schacter und Mara-Johanna Kölmel
Design von Stephan Thiel
Unterstützt von der SHAPE Platform und kofinanziert durch das Programm CREATIVE Europe der Europäischen Union.
Partner:
Förderer:
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